"Das Gegenteil von Sorgearbeit und Mental Load ist Rücksichtslosigkeit."

Mental Load ist weder positiv oder negativ, sie ist eine schlichte Notwendigkeit. Im Interview mit dem Metal Load Experten Sascha Verlan.

Nicole Beste-Fopma
Journalistin & Autorin

Sascha, Du gibst unter anderem Workshops für ausschließlich Männer zum Thema „Mental Load“. Was ist das besondere an diesen Workshops?


Bei unseren Vorträgen und Workshops im Themenbereich Rollenklischees, Equal Care und Geschlechtergerechtigkeit ist der Männeranteil eher bechaulich. In aller Regel unter 10% und es ist egal, ob ich nun gemeinsam mit Almut Schnerring als Frau-Mann-Team auf der Bühne stehe oder allein. Meist kommen eher Menschen zu uns, die schon sensibilisiert sind. Die das Bedürfnis spüren, nicht nur am eigenen Verhalten, sondern auch an den Verhältnissen etwas zu ändern.
Reine Männergruppen sind daher wichtig, damit dieser Diskurs keine Einbahnstraße bleibt. Deutlich zu spüren ist das, wenn dann plötzlich ganz schnell die Frage im Raum steht: Was habe ich denn davon, mehr Sorgearbeit und Mental Load zu übernehmen? Eine Frage, die übrigens auch gerne Unternehmensvertreter*innen stellen. Was haben wir denn davon? Ich für meinen Teil lebe gerne in einer gleichberechtigten Beziehung, und das ist nur möglich, wenn wir uns Care-Arbeit und Mental Load fair aufteilen.

Wie erklärst Du Mental Load Männern?

Das ist relativ einfach, weil wir das Konzept aus der Arbeitswelt und Berufstätigkeit kennen, das heißt das nämlich Projektmanagement. Und dann wird auch schnell klar, dass die einzelnen Aufgaben ausgeführt werden müssen, was zunächst einmal ein Zeitfaktor ist. Dass es darüber hinaus aber Wissen braucht, Übersicht, Organisation und Koordination, damit ein Projekt, und nichts anderes ist ein Familienhaushalt, gut funktionieren kann. Und dann steht die grundsätzliche Frage im Raum: Helfe ich mit, indem ich zum Beispiel einkaufen gehe und besorge, was mir meine Partnerin auf die Liste geschrieben hat? Oder übernehme ich wirklich Verantwortung für einen klar definierten Bereich? Und nur das bedeutet eine wirkliche Entlastung für die Person, die sonst die Hauptlast trägt.

Warum ist vielen Männern „Mental Load“ kein Begriff? Ist der Begriff etwas typisch weibliches? Haben nur Frauen eine „Mental Load“?

Da ist auf der einen Seite dieser Begriff, der erst in den vergangenen vier, fünf Jahren verwendet wird, um ein Phänomen zu benennen, das es natürlich schon sehr lange gibt. Und da ist es eben so, dass angefangen bei der Erziehung, über Literatur und Filme, Werbung, Unterricht … Männern auch heute noch viel zu oft das Privileg zugestanden wird, sich nicht kümmern zu müssen, Care-Arbeit einfach ignorieren und auslagern zu dürfen, dass sie mit der Ausrede, "also ich könnte das nicht" tatsächlich durchkommen.

Wir können viel darüber reden, was sich ändern können müssen sollte, damit mehr Frauen in die Führungspositionen in Wirtschaft, Kultur, Politik und Wissenschaft gelangen, aber der eigentliche Gleichstellungsdiskurs, der findet am Küchentisch statt. Wer es aus männlicher Sicht wirklich ernst meint mit der Gleichberechtigung, hier ist der Ort für Veränderung: übernehmt 50% der Care-Arbeit und Sorgeverantwortung, lebt es euren Söhenn (und Töchtern) vor, verlangt von euren Söhnen, dass sie sich einbringen, lehrt sie, wie man einen Haushalt führt und mit Leben füllt, alles andere wird sich dann ergeben!

Wie offen sind Männer für dieses Thema?

Das ist natürlich unterschiedlich und fängt an bei jenen, die von sich behaupten, gar keine Sorgeverantwortung zu haben, auch nicht haben zu müssen, dann gibt es eine viele, die ein Unbehagen und schlechtes Gewissen mitbringen und schließlich ein paar wenige, die sich auch in ihren Beziehungen mit dem Thema auseinandersetzen und sich der Ungerechtigkeiten bewusst sind, die durch eine ungleiche Verteilung der Sorgearbeit entstehen.


Und da zeigt sich sehr deutlich, dass unser Handeln auch das (körperliche) Sein beeinflusst. Menschen, die sich kümmern, haben einen höheren Oxitocin-Spiegel, das so genannte Kümmer-Hormon, Männer wie Frauen. Und je höher der Oxitocin-Spiegel ist, desto größer ist auch die Bereitschaft und das Bedürfnis, sich zu kümmern. Das ist ein Kreislauf, der sich verstärken, aber auch wieder abschwächen kann. Deshalb ist die Initiative für zwei Wochen bezahlte Vaterschafts- oder Partner*innenfreistellung nach der Geburt eines Kindes auch so wichtig, weil sich da Weichen anders ausrichten können.

Ist „Mental Load“ denn per se etwas Schlechtes?

Mental Load ist weder positiv oder negativ, sie ist eine schlichte Notwendigkeit. Sorgearbeit ist die Basis des Lebens und der Gesellschaft. Unser Zusammenleben kann überhaupt nur funktionieren, weil da Menschen sind, die sich kümmern, die Mental Load tragen. Und das ist eines der ganz großen Versäumnisse der Wirtschaftswissenschaften und in der Folge auch der Politik, das nicht sehen zu wollen. Diese Wirtschaft ist buchstäblich nichts, wenn da nicht Menschen wären, die gut ausgebildet, höflich, leistungsbereit, organisiert, gepflegt und gesund ins Unternehmen kommen könnten. Und auf der anderen Seite sehen wir jeden Tag die Folgen unterlassener oder nicht gut ausgeführter Sorgearbeit - das ist kein Vorwurf an die einzelnen Menschen, weil wir in einem System leben, das es uns allen schwer macht, Care-Arbeit im ausreichenden Maße anderen und uns selbst gegenüber zu erbringen -, die Folgekosten im Gesundheits- und Bildungssektor, insgesamt im sozialen Bereich sind immens. Und es ist wirklich an der Zeit, dass insbesondere die Unternehmen da mehr Verantwortung übernehmen!

Hat man nur dann eine „Mental Load“, wenn man auch Kinder hat?

Sorgearbeit begleitet uns durch das ganze Leben, sie beginnt mit der Schwangerschafts- und Geburtsbegleitung, Erziehung und Betreuung von Kindern, Bildung und Sozialarbeit, medizinischer und pflegerischer Bereich im Falle von Krankheit und Behinderung, Haushalt, Ernährung, schonender Umgang mit den Ressourcen, Unterstützung im Alter, Grabpflege. Und im Idealfall ist es ein Geben und Nehmen, dass ich als Individuum insgesamt im gleichen Maße Sorgearbeit empfange und leiste. Natürlich gibt es Phasen, in denen es mehr Mental Load gibt, und das Leben mit (kleinen) Kindern gehört definitiv dazu, aber grundsätzlich ist Mental Load eine ständige Begleiterin, und sollte es auch sein.

Hat Dir in einem Deiner Seminare schon mal einer entgegnet: „Aber ich arbeite Vollzeit!“? Was antwortest Du ihm?

Ja klar. Das ist die Illusion männlicher Unabhängigkeit zu meinen, dass sich mit Geld alles regeln ließe. Ja, mann kann Care-Arbeit auslagern und dafür bezahlen. Aber dann habe ich selbst nichts davon, weil Care-Arbeit immer Beziehung bedeutet. Es ist eben ein gravierender Unterschied, ob ich selbst dabei bin, wenn mein Kind seine ersten Schritte macht, auf einen Baum klettert, spricht, traurig ist, den ersten Liebeskummer erlebt, oder ob ich mir davon erzählen lassen muss, weil ich Vollzeit gearbeitet, also abwesend war.

Es gibt eine Reihe von Umfragen und Studien mit Männern jenseits der Berufstätigkeit. Und je erfolgreicher sie waren, desto mehr bedauern sie, nicht mehr Zeit mit ihren Kindern verbracht zu haben, in der Familie, mit Bekannten und Verwandten. Weil das Zeit ist, Beziehungen, die ich eben nicht auslagern lassen. Ich erlebe sie selbst, oder ich schaue mir eben Bilder und Videos an, wie andere etwas erlebt haben, solange ich gearbeitet habe.

Sascha Verlan
"Am Ende steht ein ganz neues Gefühl von Unabhängigkeit und Selbstbewusstsein, nämlich wirklich alle Bereich des Lebens zu kennen und erfüllen zu können."

In wiefern steht die Mental Load der Gleichberechtigung im Weg?

Es ist die ungleiche Verteilung: Wer mehr Sorgearbeit und Mental Load trägt, hat weniger Zeit und Kraft und Muße, für andere Dinge im Leben, Aus- und Fortbildung, netzwerken, politisches und kulturelles Engagement oder einfach auch nur Zeit zur Erholung. Und solange Care-Arbeit und Sorgeverantwortung derart ungleich verteilt sind in unserer Gesellschaft - und die Kategorie Geschlecht ist nur eine davon, es geht hier auch um soziale Schicht, Generation, Herkunft oder Bildungssozialisation - werden wir auf Dauer keine Gleichberechtigung erreichen können.

Und das gilt natürlich auch für die vielen Väter, die nach einer Trennung mit ihrem Schicksal hadern, ja nur Unterhalt zahlen zu müssen, aber keine wirkliche Beziehung zu den eigenen Kindern aufbauen zu können. Das fängt eben sehr früh an, und wir raten Paaren dringend, das möglichst zu klären, bevor dann Kinder da sind und die Macht der Verhältnisser und Gewohnheiten zuschlägt.

Was rätst Du Männern, die ihrer Partnerin einen Teil der „Mental Load“ abnehmen wollen?

Wir haben in Rahmen unserer Vereinsarbeit einen MentalLoad-Test entwickelt. Das ist ein guter Einstieg, sich einmal Gewissheit darüber zu verschaffen, wie die Verteilung innerhalb der Verantwortungsgemeinschaft überhaupt aussieht. Nach dieser ersten Bestandsaufnahme gilt es dann, Pläne zu entwickeln für die Zukunft. Wir sind eben geprägt und in eine Welt hineinsozialisiert, in der Frauen die Kümmerrolle zugeschrieben wird. Also können wir nur gemeinsam und in die Zukunft hinein etwas ändern, die Betonung liegt dabei auf gemeinsam! Und ja, es ist mühsam am Anfang, weil Männer eben oft nicht gelernt haben zu waschen, bügeln, kochen etc. Aber mit ein bisschen Ehrgeiz und Hartnäckigkeit lässt sich ein sich selbst verstärkender Prozess in Gang setzen, und das Oxitocin hilft dabei mit und die sich verändernden Beziehungen zur Partnerin, zu den eigenen Kindern und Verwandten. Am Ende steht ein ganz neues Gefühl von Unabhängigkeit und Selbstbewusstsein, nämlich wirklich alle Bereich des Lebens zu kennen und erfüllen zu können.

Und was machen wir mit all den anderen Männern? Wie können wir Männer fördern, damit auch sie mehr Mental Load übernehmen?

Ich bin da ganz ehrlich: das Gegenteil von Sorgearbeit und Mental Load ist schlicht Rücksichtslosigkeit. Und wer möchte schon rücksichtslos sein?! Und dann hilft ein genauerer Blick ins Grundgesetz. In Artikel 3 steht da nämlich nicht nur, dass niemand "wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt" werden darf, da steht auch explizit, dass niemand aus den genannten Gründen "bevorzugt werden" darf. Es gibt kein Grundrecht, als Gruppe der Männer im Durchschnitt eine Stunde pro Tag weniger zu arbeiten, es gibt kein Grundrecht, meine Sorgeverpflichtungen an andere auszulagern, im Gegenteil, das Grundgesetz lässt dies ausdrücklich nicht zu.


Das war jetzt nicht die Antwort auf die explizite Frage nach dem Fördern. Ich bin es einfach leid, anderen Männern die Vorzüge zu vermitteln und den Weg zu ebnen, es ihnen möglichst schmackhaft zu machen, das zu tun, was gesellschaftlich und individuell richtig ist. Es gibt kein Equal Care, außer man tut es!

Bildnachweis: Pexels – Shvets Production

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