Wir brauchen eine menschenfreundliche Arbeitskultur

Christine Waldmann, Gründerin von growth360, denkt das negativ behaftete Agenturleben neu!

Gastautorin
Gastautor*in

Zufriedene Mitarbeiter und eine flexible Work-Life-Blending Kultur. Und dazu als Mutter einer sechsjährigen Tochter die wichtige Erkenntnis, dass Vereinbarkeit Mut zur (unperfekten) Lücke braucht.

Für viele bedeutet Agenturbusiness Überstunden, Dauerstress und eine hohe Fluktuation. Ein ausbeuterisches Umfeld. Auch ich habe lange so gearbeitet, bis ich schwanger wurde und unsere Arbeitswelt hinterfragte. Heute leite ich die Online-Performance-Agentur growth360. Überstunden gibt es bei uns nur im äußersten Notfall, dafür die 32-Stunden-Woche. Der Mensch steht bei uns im Mittelpunkt.

Der Moment, in dem bei mir der Groschen fiel, liegt jetzt schon fast vier Jahre zurück. Eigentlich wollte ich mit einem Co-Founder in die Selbstständigkeit gehen. Doch als Mutter einer zweijährigen Tochter war ich für ihn keine adäquate Gründungspartnerin mehr. Er sah keine 50-prozentige Beteiligung mehr bei mir. Ich könne schließlich keine 70 Stunden die Woche abreißen so wie er. Nach diesem Gespräch habe ich die übliche Agenturwelt von einer anderen Ebene beleuchtet und mir gesagt: Eigentlich geht es doch gar nicht um die Stunden, es geht um den Output. Was ist, wenn ich extrem zügig und effizient arbeite?

Mit diesem Grundsatz bin ich in die Selbstständigkeit gestartet, obwohl mir alle sagten, ich könne nicht wirtschaftlich sein und exzellente Arbeit abliefern, wenn ich zu nachhaltig mit der Ressource Mensch umgehe – schon das ist ein Satz, bei dem es mir kalt den Rücken herunter läuft. Natürlich wusste ich damals nicht, ob es funktioniert. Trotzdem habe ich es ausprobiert, weil ich davon überzeugt bin, dass wir wertschätzend miteinander und unseren Talenten umgehen müssen, mündig und auf Augenhöhe. Außerdem hinterfrage ich gerne den Status quo – nur das bringt uns weiter. Viel zu oft ruhen sich die Menschen auf Glaubenssätzen aus, auf einem „Das war schon immer so“. Sie können sich nicht vorstellen, dass es auch anders geht. Vielleicht fehlt ihnen auch der Mut, es einfach mal zu versuchen. Mein Weg ist das nicht.

Die Menschen machen den Unterschied

Inzwischen weiß ich: Es funktioniert, als Agentur und für mich als Mutter. Bei growth360 haben wir eine 32-Stunden-Vollzeitwoche und kommen (außer im äußersten Notfall) ohne Überstunden aus. Die Fluktuation von unseren Mitarbeitenden liegt unter dem Branchendurchschnitt. Und der Team-Gedanke wird bei uns gelebt. Intrinsisch motivierte und zufriedene Mitarbeitende sind unser Kapital – und unser Wettbewerbsvorteil. Agenturen gibt es wie Sand am Meer. Und es gibt relativ wenig, worin sie sich voneinander unterscheiden können. Den Unterschied machen die Menschen, die dort arbeiten. Sind sie dauergestresst und überlastet oder zufrieden und motiviert? Ich bin überzeugt, wenn Menschen sich ihren Talenten entsprechend entwickeln dürfen, dann kreieren sie das extra i-Tüpfelchen auf Kampagnenstrategien und in der Kreation… Dann entsteht diese Exzellenz, diese Brillanz, die ich in meiner Arbeit anstrebe. Ich bin überzeugt: Würde sich diese menschenfreundliche Haltung durchsetzen, wäre noch so viel mehr möglich. Es gäbe noch viel mehr brillante Menschen, die wahnsinnig gute Arbeit leisten, weil sie sie selbst sein dürfen und die richtigen Mittel zur Verfügung gestellt bekommen, um sich beruflich zu entfalten.

Was Menschen dagegen nicht brauchen, ist eine Arbeitswelt, die diktiert, statt Freiräume bietet. Das bremst sie aus und macht sie im schlimmsten Fall sogar krank. Für mich neben negativem Dauerstress ein Grund für psychische Erkrankungen und die landeten laut DAK Gesundheitsreport 2023 im vergangenen Jahr mit 15 Prozent erneut unter den Top 3 der Gründe für eine Krankschreibung. Tendenz weiterhin steigend, obwohl das Problem seit Jahren bekannt ist. Bei growth360 legen wir daher besonderen Wert auf die mentale Gesundheit der Mitarbeitenden – nicht nur, aber auch, weil ich nach zwei Burnouts weiß, wovon ich spreche. Ein wichtiges Thema ist in diesem Bereich die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Meine Haltung dazu: Möglich machen, was möglich ist, einfordern, was machbar ist.

Kind und Karriere möglich machen

Gerade für Frauen ist der Berufsweg nicht immer leicht, vor allem in männerdominierten Branchen wie dem Agenturbusiness. Trotzdem denke ich nicht, dass sie sich entscheiden müssen zwischen Kind und Karriere, wohl aber dafür, diesen harten Weg zu gehen in dem Bewusstsein, nicht alles haben zu können.

Sehr kritisch sehe ich, wie das Thema Vereinbarkeit derzeit kommuniziert wird. Grundsätzlich freut es mich, dass mittlerweile so viele erfolgreiche Geschäftsführerinnen mit Kind sichtbar werden. Doch mir ist die Kommunikation oft zu einseitig. Sie geht stark in die Richtung: Alles ist möglich und zu schaffen. Das finde ich schwierig. Es gaukelt vor, dass dieser Weg total einfach ist. Dabei bedeutet die Entscheidung Kind und Karriere, sehr diszipliniert sein zu müssen. Wie überall gibt es positive und negative Seiten. So ist das Leben – und das müssen wir ehrlich kommunizieren. Sonst setzt dieses „Alles-ist-möglich“ die Frauen zu sehr unter Druck. Sie meinen, dann auch alles schaffen zu MÜSSEN. Und wenn es nicht klappt, suchen sie das Problem bei sich selbst statt bei den gesellschaftlichen und persönlichen Rahmenbedingungen. Gerade letztere können sich stark unterscheiden. Es macht einfach einen Unterschied, ob jemand alleinerziehend ist, die Großeltern in der Nähe wohnen oder ob es ausreichend angemessene Betreuungsplätze gibt, von den finanziellen Möglichkeiten ganz zu schweigen. Abgesehen davon bedeutet die Entscheidung Kind und Karriere immer auch, die Balance halten zu müssen zwischen Anforderung und Achtsamkeit. Wer nicht auf sich selbst schaut, scheitert schnell daran. Mein Tipp an die Frauen: Ihr müsst nicht immer perfekt sein. Nicht als Mutter und nicht als Geschäftsführerin, nicht als Ehefrau oder als Sportlerin. Das ist nicht notwendig und funktioniert auch nicht.

Mit Blick auf das Agenturbusiness und die Arbeitswelt insgesamt wünsche ich mir, dass künftig immer mehr andere Arbeitgeber:innen diesen menschenfreundlichen Ansatz leben – auch dafür bin ich mit meiner Agentur angetreten. Wir können darauf vertrauen, dass die intrinsische Motivation im Menschen verankert ist. Das ist das Gold, das wir schürfen dürfen. Dazu müssen wir den Menschen ein menschenfreundliches Arbeitsumfeld bieten.

Christine Waldmann

Über unsere Gastautorin: Christine Waldmann

Die 38-Jährige studierte zunächst Internationales Eventmanagement in den Niederlanden und machte anschließend ihren Fachwirt in Online-Marketing. Danach arbeitete sie u.a. für Sixt und erfolgreiche Startups im Online-Marketing. 2019 gründete sie vor den Toren Münchens die Performance-Marketing-Agentur growth360. Mit einer 32-Stunden-Vollzeitwoche und Verzicht auf Überstunden möchte sie die Inhaberin der menschenfreundlichsten Agentur Deutschlands sein. Inhaltlich unterstützt growth360 namhafte Unternehmen wie DHL, DriveNow und Koziol bei Paid Search, Paid Social und LinkedIn Ads. Weitere Informationen unter growth360.de

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell, andere helfen uns, diese Website und deine Nutzererfahrung zu verbessern. Für weitere Informationen, sieh dir unsere Datenschutzerklärung an.