Mehr Mütter in Führungsrollen würden uns sehr gut tun

Als Geschäftsführerin des Bielefelder Mittelständlers ITV (Industrieteile-Vertriebs GmbH) und Mutter einer Tochter kennt Stefanie Bindzus die täglichen Herausforderungen, um Beruf und Familie unter einen Hut zu bekommen.

Stefanie Bindzus
Geschäftsführende Gesellschafterin

Als Geschäftsführerin des Bielefelder Mittelständlers ITV (Industrieteile-Vertriebs GmbH) und Mutter einer Tochter kennt Stefanie Bindzus die täglichen Herausforderungen, um Beruf und Familie unter einen Hut zu bekommen. 2009 hat sie die Leitung des Unternehmens von ihrem Vater übernommen und wurde vor sieben Jahren Mutter. Seitdem ist sie täglich gefordert, die Balance zwischen beruflichen und familiären Verpflichtungen zu finden. Dabei kommt es nicht nur auf die eigene Organisation an, sondern auch auf die Rahmenbedingungen, die in der Arbeitswelt und in der Gesellschaft stimmen müssen.

Ein Balanceakt ohne Netz: Die Realität der Doppelbelastung

Wie viele Frauen, die versuchen Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen, hatte ich am Anfang eine einfache Rechnung im Kopf: Ich dachte, ich nutze 50 Prozent des Tages, um für mein Kind da zu sein und die anderen 50 Prozent für meine Arbeit. Das sollte doch passen – andere schaffen das schließlich auch. Meine naive Vorstellung scheiterte aber schnell an der Praxis. Mutter und Geschäftsführerin zu sein, hat mich erst einmal an meine persönlichen Grenzen gebracht und an die Grenzen meiner eigenen Erwartungen.  
Mein Mann und ich haben zu Beginn bewusst auf Elternzeit verzichtet – eine Entscheidung, die viele Familien aus finanziellen Gründen treffen müssen. Auch wenn wir unsere Arbeitszeiten recht flexibel gestalten konnten, wurde uns schnell klar: Es ist schlichtweg unmöglich, 100 Prozent Arbeitsleistung zu erbringen, 100 Prozent  seinem Kind gerecht zu werden und dabei auch an sich selbst zu denken. Die Anforderungen als Eltern, Ehepaar und Vollzeit-Berufstätige unter einen Hut zu bringen, ohne dabei an den eigenen Ansprüchen zu scheitern, war nahezu unmöglich. Nachdem wir die Betreuung unserer Tochter die ersten ein bis zwei Jahre irgendwie zwischen uns aufgeteilt haben, folgte dann die Suche nach einem staatlichen Kita-Platz. Und das war sehr ernüchternd – zu wenige Plätze, zu lange Wartelisten. Schließlich hatten wir Glück und haben eine Tagesmutter gefunden, die unsere Tochter betreuen konnte, was uns die dringend benötigte Entlastung brachte und half, wieder etwas mehr Struktur in unseren Alltag zu bringen. So konnte ich mich auch im Beruf wieder stärker einbringen, ohne das Gefühl zu haben, meiner Rolle als Mutter nicht gerecht zu werden.

Strukturelle Hürden: Die unsichtbaren Barrieren

Die traurige Realität ist, meine Erfahrung ist nur ein Beispiel von vielen. Es fehlt an allen Enden staatliche Hilfe und flexible Arbeitsmodelle, besonders für Selbstständige und für nicht-kaufmännische Berufe. Die Herausforderungen sind vielfältig und die Lösungen meist unzureichend. Unser System ist noch immer nicht darauf ausgelegt, dass sich Familie und Beruf gut miteinander vereinen lassen – leider. Und obwohl es längst selbstverständlich sein sollte, dass sich beide Elternteile gleichermaßen um die Kindererziehung kümmern, hält sich die traditionelle Erwartungshaltung in unserer Gesellschaft, dass hauptsächlich die Mutter diese Rolle übernimmt. Wenn Väter versuchen, ihre Arbeitszeit zu reduzieren, ein ganzes Jahr Elternzeit nehmen oder zu Hause bleiben, wenn ein Kind krank ist, stoßen sie oft auf Vorurteile und mangelnde Akzeptanz. Im Gegensatz dazu wird der „Arbeitsausfall“ von Müttern meist wohlwollender betrachtet, was das Ungleichgewicht weiter verstärkt. Deswegen setzen wir bei ITV klare Signale: Wenn jemand zuhause bleiben muss, weil ein Kind krank ist, rechnen wir das wie einen normalen Krankentag und nicht als einen der gesetzlich begrenzten ‚Kinder-Krank-Tage‘ im Jahr. Zudem bieten Homeoffice und Gleitzeit mehr Flexibilität, um die Arbeitszeiten an die Bedürfnisse der Kinderbetreuung anzupassen.

Unterstützung macht den Unterschied

Nach den ersten Jahren in meiner Doppelrolle als Mutter und Geschäftsführerin merkte ich, dass ich etwas ändern musste. Meine Batterien waren leer und ich wusste, dass es schlimmer werden würde, wenn ich nichts ändere. Sowohl privat als auch beruflich musste ich lernen, flexibler zu werden, Aufgaben abzugeben und Unterstützung anzunehmen. Es war eine wichtige Lektion: Ich kann nicht alles alleine schaffen. Vereinbarkeit ist kein Ziel, das man einmal erreicht und abhaken kann, sondern ein fortlaufender Prozess.
Heute setze ich meine Prioritäten bewusst: Zuerst die Familie und dann der Beruf. Darüber hinaus habe ich mich entschieden, meine Elternzeit zu einem viel späteren Zeitpunkt zu nehmen, um mehr Zeit für meine Familie und vor allem für mich selbst zu haben. Es fällt mir jetzt viel leichter zu sagen: „Ich kann das machen, aber ich brauche Unterstützung dabei.“ Vielleicht hat mich meine Rolle als Geschäftsführerin anfangs davon abgehalten, Hilfe ohne schlechtes Gewissen anzunehmen. Nach dem Motto ‚Du machst das schon‘ habe ich schließlich jahrelang gut funktioniert.
Außerdem haben wir uns vor ein paar Jahren dazu entschieden, Unterstützung durch ein Au-Pair in Anspruch zu nehmen. Ich weiß, dass das nicht für jede Familie die passende Lösung ist, und dass es auch eine gewisse finanzielle Stabilität erfordert. Doch für uns hat es sich als sehr hilfreich erwiesen: Unsere Au Pair gibt uns die Möglichkeit, flexibel auf unvorhergesehene Situationen zu reagieren und entlastet uns im täglichen Ablauf.

Was es wirklich braucht: Gesellschaftlicher Wandel und konkrete Maßnahmen

Die Erfahrungen, die ich als Mutter und Geschäftsführerin gemacht habe, zeigen deutlich: Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist möglich, aber es braucht dafür die richtigen Rahmenbedingungen. Es erfordert ein Umdenken in der Gesellschaft, staatliche Förderung, mehr Akzeptanz und ein Aufbrechen veralteter Rollenmuster. Frauen können und sollen beides sein dürfen – Geschäftsfrau und Mutter –, ohne dass sie sich dafür rechtfertigen müssen. Ich bin mir sicher, dass es unserer Gesellschaft und Wirtschaft zugutekommen würde, mehr Mütter in Führungsrollen zu sehen. Unternehmen und deren Führung würden dadurch zwangsläufig ein tieferes Verständnis dafür entwickeln, was es wirklich bedeutet, Familie und Beruf zu vereinbaren. Die positive Folge: Mehr Flexibilität bei den Arbeitsmodellen und mehr Akzeptanz, wenn Väter den größeren Teil der Care-Arbeit übernehmen.


Dafür braucht es aber mehr als nur den Willen der Einzelnen. Laut einer Erhebung des Statistischen Bundesamts sind über zwei Drittel der Mütter in Deutschland zwar erwerbstätig, aber die Mehrheit arbeitet in Teilzeit, während Väter größtenteils in Vollzeit tätig sind. Bei lediglich zwei Prozent der erwerbstätigen Elternpaare arbeitete die Mutter in Vollzeit und der Vater in Teilzeit.* Das führt dazu, dass Mütter beruflich stagnieren oder nur langsam vorankommen. Die Folgen sind weitreichend: Neben der persönlichen Unzufriedenheit gibt es auch gesamtwirtschaftliche Auswirkungen, wie etwa Altersarmut bei Frauen oder ungenutztes Potential.


Um echte Vereinbarkeit zu erreichen, müssen Unternehmen und Politik gleichermaßen Verantwortung übernehmen und eine Arbeitskultur schaffen, in der Fürsorgearbeit – ob für Kinder oder ältere Angehörige – als wertvolle und notwendige Aufgabe anerkannt wird, die nicht allein auf den Schultern der Frauen lastet. Und vor allem müssen wir begreifen, dass familienfreundliches Arbeiten kein Luxus ist, sondern eine Notwendigkeit für eine gerechtere Gesellschaft und eine funktionierende Wirtschaft.  
Viele der Hindernisse bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie liegen nicht nur in strukturellen Bedingungen, sondern auch in fest verankerten Verhaltensmustern und Glaubenssätzen begründet. In vielen Unternehmen und Familien ändern sich die Strukturen deshalb nur schleppend. Wir müssen uns fragen: Was wollen wir unseren Kindern vorleben und welche Werte möchten wir ihnen für die Zukunft mitgeben? Es reicht nicht, allein das System oder die Arbeitgeber zu kritisieren. Bei ITV bemühen wir uns, einen anderen Weg zu gehen und familienfreundliche Maßnahmen umzusetzen. Doch auch wir stehen vor der Herausforderung, die tief verwurzelten Rollenbilder und Überzeugungen unserer Mitarbeitenden zu überwinden. Solange sich diese innere Einstellung nicht ändert, besteht die Gefahr, dass unsere Maßnahmen nicht in dem Maße angenommen werden, wie es für echte Veränderung notwendig ist.


Bei all der Diskussion ist mir bewusst, dass es keine Patentlösung für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie geben kann, denn die Umstände jeder Familie sind unterschiedlich. Doch eines ist sicher: Ein gesellschaftliches Umdenken, das alle Formen der Elternschaft akzeptiert und unterstützt, könnte bereits einen großen Unterschied machen. Wenn wir gemeinsam daran arbeiten, ein offenes und flexibles Mindset zu fördern, schaffen wir eine Basis, auf der jede Familie – unabhängig von ihrer individuellen Situation – die Chance hat, Beruf und Familie besser zu vereinbaren. Nur so schaffen wir eine Arbeitswelt, die wirklich inklusiv und unterstützend ist – eine, in der niemand zwischen Karriere und Familie wählen muss und in der nicht nur jede dritte Führungskraft weiblich ist.**

* https://www.destatis.de/DE/Methoden/WISTA-Wirtschaft-und-Statistik/2023/04/erwerbstaetigkeit-arbeitszeit-042023.html
**https://www.destatis.de/DE/Themen/Arbeit/Arbeitsmarkt/Qualitaet-Arbeit/Dimension-1/frauen-fuehrungspositionen.html

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