2015 zeigte eine Studie, dass das Muttersein nicht bei jeder Frau Unmengen an Glückshormonen freisetzt. Nicht jede Mutter eine überbordende Liebe empfindet. Wer ist Schuld daran, wenn Mütter an ihrer Mutterschaft verzweifeln oder sie gar ganz ablehnen? Christina Mundlos hat für eine Studie zum Thema #regrettingmotherhood zahlreiche Mütter befragt. Daraus entstanden ist ihr Buch „Wenn Muttersein nicht glücklich macht“. Wir haben uns mit ihr über die Reaktionen unterhalten und gefragt, was sich ändern muss.
Die Reaktionen waren sehr emotional, zum Teil auch aggressiv. Bei der Recherche habe ich in Netzwerken nach bereuenden Müttern gesucht. Dabei wurde ich von Müttern teilweise persönlich angegriffen. Ich wurde aufgefordert, das Buch nicht zu schreiben. Ich habe auch einen langen fundamental-christlichen Brief bekommen, der mir dies nahe legte.
Das hat mit der teilweisen Vereinnahmung von Müttern zu tun. Manche Journalisten wollen festlegen, was Mütter tun dürfen, ob sie bereuen dürfen. Dabei führt die Frage, ob man Reue in diesem Zusammenhang fühlen darf, ins Nirgendwo. Gefühle sind einfach da. Doch es wird verlangt, dass bereuende Mütter ihr Gefühl, das gesellschaftlich nicht gerne gesehen ist, unterdrücken. Ihnen wird ein Korsett auferlegt.
Es gibt einen gesellschaftlichen Konsens darüber, dass Mutterschaft der Glücksbringer für Frauen schlechthin ist. Daran hält man sich hartnäckig, trotz aller emanzipatorischer Fortschritte. Man geht von einem natürlichen Mutterinstinkt aus, der beinhaltet, dass Frauen aus genetischer und biologischer Sicht besser geeignet sind als Männer, Kinder zu erziehen. Wenn man nun sagt, dass es diesen natürlichen Mutterinstinkt nicht gibt und dass die Mutterschaft manche Mütter unglücklich macht, dann bricht das ganze traditionelle Rollengefüge zusammen. Bereuende Mütter bringen die gesellschaftliche Ordnung in Unordnung. Sie stellen sie auf den Kopf. So etwas verängstigt die Menschen immer.
Nein. Die Politik hat dafür zu sorgen, dass Frauen ein zufriedenes Leben führen können. Das ist ihr Recht. Es muss zudem akzeptiert sein, dass manche Frauen keine Kinder haben und nicht die Verantwortung für einen anderen Menschen übernehmen wollen.
Es gibt zwei Gruppen von bereuenden Müttern, die ich in meiner Studie festgestellt habe. Die erste Gruppe wollte eigentlich keine Kinder haben. Die Frauen standen jedoch stark unter Druck und haben nicht nachgedacht, dass es alternative Lebenswege geben könnte. Kinder gehörten für sie zum Standard. Die zweite Gruppe könnte sich vorstellen, mit ihren Kindern glücklich zu sein, wenn die Rahmenbedingungen anders wären.
Die Frauen hatten jedoch eines gemeinsam. Alle schilderten die Belastung. Es belastete sie, dass jeder ihnen reinredet, stichelt, sie kritisiert. Dann gibt es die Schwierigkeiten bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Der Wiedereinstieg ist schwer beziehungsweise unmöglich. Die meisten Mütter berichteten, dass sie von ihren Partnern unzureichend unterstützt werden. Damit haben die bereuenden Mütter sehr viel gemeinsam mit Müttern, die sich nicht zu den bereuenden Müttern zählen. Ich sehe daher auch weniger ein Phänomen der bereuenden Mütter im Gegensatz zu den nicht bereuenden Mütter. Diese Trennung ist künstlich. Der übergang ist fließend. Die Mütter konnten oft selbst nicht sagen, ob sie bereuen und daher ständig das Gefühl haben, die Nachteile der Mutterschaft überwiegen die Vorzüge. Ich sehe Mutterschaft als Kontinuum mit zwei Polen – den bereuenden Müttern an dem einen und den glücklichen Müttern an dem anderen Pol – und behaupte, dass ein Gutteil aller Mütter sehr nahe am Pol der bereuenden Mütter liegt.
Natürlich haben wir selber Einfluss darauf. Trotzdem sind Mütter soziale Wesen. Sie haben ihr Netzwerk, die Nachbarschaft, die Kita, Kollegen. Alle haben Erwartungen an die Mütter und machen Druck. Wenn sie nicht mitspielen, wird über sie geredet. Sie werden ausgeschlossen. Mütter definieren sich immer noch stark darüber, eine gute Mutter zu sein. Es fällt ihnen schwer, sich gegen die Erwartungen der Mehrheit zu stemmen. Mütter setzen andere Mütter unter Druck, auch wenn sie selbst eventuell unter diesem Druck leiden. Das ist ein Teufelskreis, aus dem niemand entrinnen kann. Mütter müssen daher aussprechen, dass sie keine Lust mehr haben, zu backen, zu basteln und dass sie diesmal auf PeKip verzichten wollen, damit andere sich auch trauen. Mütter müssen genau schauen, wo ihre Grenzen sind. In unserer Gesellschaft wird die Machbarkeit und Optimierbarkeit von fast allem propagiert. Dabei müssen wir alle sehr viel über Achtsamkeit lernen. Mütter müssen es schaffen, sich von gewissen Aufgaben zu distanzieren. Sie müssen klar nach außen kommunizieren: „Ich kann nicht mehr, ich brauche eine Auszeit.“ und den Vater oder die Großeltern die Kinder betreuen lassen, um Zeit für sich zu haben. Das wirkt sich positiv aus auf die ganze Familie.
Das werde ich oft gefragt. Ich finde es jedoch bemerkenswert, wenn in einer Gesellschaft, in der viel über Glück sinniert wird, gerade dann gesagt wird, Mütter müssen nicht permanent glücklich sein, wenn vom Unglücklichsein oder Burnout einer Mutter die Rede ist. Dass Mütter Glück über ihre Mutterschaft empfinden können, das halte ich für einen existenziellen Aspekt eines doch wenigstens zufriedenen Lebens.
Mütter haben keinen besonders guten Stand in unserer Gesellschaft. Sie können es keinem recht machen. Mütter, die zuhause bleiben, werden kritisiert. Ebenso Mütter, die arbeiten. Wir gehen mit den Müttern in unserer Gesellschaft nicht besonders gut um. Anerkennung erhalten sie nur, wenn sie all die Anforderungen erfüllen.
Umfragen zufolge wollen 96 Prozent der Mütter arbeiten. Frauen hätten jedoch gerne mehr Zeit für ihre Arbeit. Das Ergebnis muss daher sein, dass wir es politisch ermöglichen, dass Frauen mehr arbeiten können. Doch die Politik hat in den letzten Jahren widersprüchliche Anreize gesetzt, vor allem durch das Betreuungsgeld. Manche Mütter können sich Arbeit gar nicht leisten. In manchen Gegenden sind Betreuungsplätze teuer. Wenn man dann noch zwei Kinder zu Betreuen hat, den Sprit zum Arbeitsplatz bezahlen muss und durch das Ehegattensplitting 200 oder 300 Euro monatlich verliert, dann kann es sein, dass die Nebenkosten das Gehalt einer Teilzeitbeschäftigung komplett auffressen, sogar bei Akademikerinnen.
Die Betreuungsplätze müssen weiter ausgebaut werden, vor allem in Kindergärten und Schulen. ältere Kinder sind völlig aus dem Blick geraten. Es kann passieren, dass eine Mutter plötzlich nur noch bis mittags arbeiten kann, weil das Kind eingeschult wird. Außerdem bin ich für eine bundesweite Angleichung der Betreuungsgebühren und die Einführung des Schwedischen Modells. In Schweden kostet der Betreuungsplatz für das erste Kind drei Prozent des Haushaltseinkommens, für das zweite Kind zwei Prozent, für das dritte ein Prozent. Ab dem vierten Kind sind die Betreuungsplätze kostenfrei. Gleichzeitig ist der Beitrag gedeckelt. So kostet der Platz für das erste Kind nie mehr als 137 Euro, egal wie viel die Eltern verdienen. Weiterhin brauchen wir ein Wiedereingliederungsmanagement, das Weiterbildungsmöglicheiten aufzeigt, Kontakthalteprogramme bei den Arbeitgebern anregt und konkrete Beratung für Arbeitnehmer und Arbeitgeber bietet. Auch eine bessere Hausaufgabenbetreuung ist notwendig. Oder mehr Schulen, die sich komplett von den Hausaufgaben verabschieden. Früher machten die Kinder die Hausaufgaben zuhause in einer Eins-zu-Eins-Betreuung mit der Mütter. Heute sitzen sie mit 20 anderen Kindern in einem Raum und werden lediglich beaufsichtigt. Es gibt daher Fälle, wo es eine Nachmittagsbetreuung vor der Haustür gibt, die Kinder jedoch die Hausaufgaben zuhause machen, weil es nicht funktioniert. Auch hier produzieren wir wieder unzufriedene Mütter.
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