Warum die moderne Arbeitswelt nur zum Teil mit der besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu tun hat, erklärt Wirtschaftsprofessor und Autor Michael Bartz im Interview.
Es geht um einen Paradigmenwechsel. Unternehmen werden nach außen und innen flexibler. Ein Großteil der Unternehmen in der Schweiz, Österreich und Deutschland haben bereits Bereiche outgesourced. Unternehmen kooperieren in allen möglichen Formen. Es wird Crowdsourcing (Anm. der Redaktion: Auslagerung traditionell interner Teilaufgaben an eine Gruppe freiwilliger User, z. B. über das Internet.) betrieben. In den großen Konzernen beobachtet man bis zu 20 Prozent Zeitarbeiter, denn auch die großen Arbeitgeber möchten flexibel sein.
Ganz klar, der administrative Bereich. Überall da, wo wir es mit Wissensarbeiter*innen zu tun haben. Zum einen, weil die Arbeitnehmererwartungen sich rapide verändern, zum anderen auch aus ökonomischen Zwängen. In unserer Forschungsgruppe haben wir schon vor Jahren immer wieder festgestellt, dass es dort, wo bereits ein Wandel hin zu New Work stattgefunden hat, einen positiven Business Case gibt.
Beispielsweise an der Mitarbeiterzufriedenheit, Commitment, Leistungsbereitschaft, Krankenstand und Fluktuation. Mitarbeitende der New World of Work sind sehr überzeugt von dem, was sie tun. Sie haben mehr Freude an ihrem Job und ihrer Firma und bringen sich mehr ein.
Gleichzeitig beginnt in Betrieben, die mobiles Arbeiten oder Heimarbeit anbieten, nicht das große Täuschen und Verstecken, sondern die Arbeitszeit geht um 10 bis 15 Prozent nach oben. Hier muss die Unternehmensführung dann aufpassen, dass die Mitarbeiter*innen sich nicht selbst ausbeuten. Auch die Krankenstände sinken. In Österreich haben wir pro MitarbeiterIn im Durchschnitt 12 Tage Krankenstand. In den Unternehmen mit New Work sinkt er auf unter 5 Tage. Die Fluktuationsraten sinken. Der Durchschnitt liegt bei 8 bis 10 Prozent natürlicher Fluktuation. Dieser sinkt auf unter 5 Prozent. Wenn ich weniger Krankenstände habe und weniger Fluktuation, wenn meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter leistungsbereiter sind und mehr Zeit investieren, ist das reine Produktivität.
Die Themen der New World of Work wurden anfangs sehr stark von dieser Generation bestimmt. Jüngere ArbeitnehmerInnen sind mit den digitalen Medien aufgewachsen und haben gelernt, dass man alles von überall aus erledigen kann. Sie brauchen nicht wirklich ein Büro. Wenn sie auf eine Führungskraft treffen, die sie auffordert, jeden Tag ins Büro zu kommen, fühlt sich das für sie merkwürdig an. Hinzu kommt, dass diese Mitarbeiter*innen Freiheiten nicht nur ziemlich massiv einfordern. Sie machen auch transparent, welche Firmen tatsächlich flexible Arbeitsbedingungen bieten und welche nicht. Waren „Employer Branding“ und „Mitarbeiterattraktivität“ bisher Theoreme, die in den Personalwissenschaften diskutiert wurden, gibt es mit online-Plattformen wie Kununu und Glassdoor Employer Branding zum Anfassen. Hier kann man im Detail nachlesen, was den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Unternehmen nicht gefällt. Diese Plattformen machen es für Unternehmen wahnsinnig schwierig, ein Arbeitgeberimage aufzubauen, hinter dem nichts steckt.
Das Spannende ist aber, dass sich mit der großen Verbreitung von Tablet-PCs die digitale Kompetenz mittlerweile durch alle Generationen zieht. Plötzlich beginnen auch die älteren und erfahreneren Arbeitnehmergenerationen, dieselben Forderungen nach einer New World of Work zu stellen.
Die Flexibilisierung der Arbeit, aber auch Job-Sharing Modelle schaffen neue Chancen und damit eine größere Chancengleichheit. Das bedeutet, dass Mutter- oder Vaterschaft bzw. die Pflege Angehöriger, nicht mehr heißen muss, dass man den Job aufgeben oder in der Karriereentwicklung einen Einbruch hinnehmen muss.
Insbesondere die Gruppe der Pflegenden steigt bereits rasant an. Statistisch gesehen werden fast alle Arbeitnehmenden irgendwann von einem Pflegefall in der Familie betroffen sein. Karrierebrüche sind spätestens dann weder akzeptabel noch wirtschaftlich. Auch nicht gesamtökonomisch.
Hinzu kommt, dass die Jungen oft nicht mehr bereit sind, einem Arbeitgebenden in Vollzeit zur Verfügung zu stehen. Sie bevorzugen ein Multijobmodell. Sie lassen sich zum Beispiel für 30 Stunden anstellen und bauen nebenher noch mit Freunden ein Start-Up auf oder arbeiten als Freelancer. Diese Generation fühlt sich unabhängiger und handelt auch so. Das heißt aber auch: Diese Generation ist durchaus schwieriger zu führen und zu motivieren.
Der Hebel ist der Wunsch nach Selbstverwirklichung und sinnvollem Arbeiten. Indem die Führungskräfte den Arbeitnehmern dieser Generation Freiheiten schaffen und gewähren und ihr freistellen zu entscheiden, wie, wo und wann sie arbeitet, tragen sie zum Selbstwertgefühl und zum Gefühl eines sinnvollen Arbeitens ganz erheblich bei.
Zu einem systematischen New World of Work-Transformationsprogramm gehört der schrittweise Kompetenzaufbau bei Mitarbeiter*innen und Führungskräften. Dieser stellt sicher, dass der Umgang mit den neuen Arbeitswelten schrittweise erlernt bzw. das notwendige Rüstzeug vermittelt wird. Allerdings verlassen bei solchen Transformationen auch immer 1 bis 1,5 Prozent der Mitarbeiter*innen und Führungskräfte das Unternehmen bewusst. Das zeigen die Erfahrungswerte der letzten Jahre.
Auch das hängt wieder ganz von der Unternehmenskultur ab. Es gibt einen starken Trend zu Büroerlebnislandschaften mit unterschiedlichen Umgebungen für unterschiedliche Anforderungen. Die Büros werden immer mehr zu soziale Plattformen und weniger Behausungen für Einzelschreibtische. Die Schreibtische findet man bald nur noch im Homeoffice oder in Co-Working-Offices.
Zukünftig wird die Hierarchie im Unternehmen nicht mehr so wichtig sein. Die Hierarchie wird überlappt von der Projekt- und der Matrixorganisation. In vielen Unternehmen ist die Projektorganisation heute in vielen Bereichen schon wichtiger als die hierarchische. Es wird auch nicht mehr die Top-Manager mit dieser enormen Strahlkraft geben. Vielmehr werden die Mitarbeiter auf ein Chef*innen-Team treffen, von dem sie bewertet und gesteuert werden.
Ein weiterer großer Trend ist das „Bring your own device“. Die junge Generation ist bis an die Zähne mit modernen Smartphones, Laptops, Tablets bewaffnet und trifft im Büroalltag auf veraltete Computer. Außerdem möchte sie nicht ständig zwischen den Geräten wechseln, sondern mit nur einem sowohl beruflich als auch privat agieren. Insbesondere an die Absicherung der Unternehmen nach außen, also an die Datensicherheit, stellt das enorm hohe Anforderungen.
Noch gibt es dafür keine befriedigenden Lösungen. Der beste Schutz ist nach wie vor die Schulung der Mitarbeiter*innen. Die Unternehmen müssen ein Bewusstsein für Datensicherheit schaffen. Wer im geparkten Auto an einer Telefonkonferenz teilnimmt, sollte das nicht über den Lautsprecher machen, sondern einen Kopfhörer aufsetzen. Im Café sollte der Bildschirm so ausgerichtet sein, dass niemand drauf schauen kann. Das Handy darf nie unbeobachtet liegen gelassen werden. Der Bildschirm muss immer geschlossen werden, wenn man den PC verlässt. Das sind die kleinen Tipps und Tricks, die man einhalten muss. Es bleibt dann noch immer das Missbrauchsproblem, aber gegen Vorsatz kann man sich nicht schützen.
In der Produktion ist eine zunehmende Automation klar erkennbar. Die Jobs werden anspruchsvoller, und es werden in manchen Bereichen weniger Mitarbeitende beschäftigt. Was aber viel spannender ist: Es gibt keine Korrelation mehr von digitaler Kompetenz und Schulabschluss. Inzwischen finden sich in allen Gesellschaftsgruppen und Bildungsschichten Expert*innen im Umgang mit Apps auf Smartphones oder Tabletts. Auch in der Produktion besitzen fast alle privat ein Smartphone. Das Top-Thema der Produktion wird zukünftig daher die Selbstorganisation sein. Denn alle können Plattformen wie Doodle bedienen und untereinander Schichtpläne abstimmen.
In Großbritannien sind bereits 50 Prozent der Unternehmen in der New World of Work angekommen. In Deutschland sind es 30 und in Österreich 15 Prozent. Aber der Trend verbreitet sich, und in spätestens 15 bis 20 Jahren werden alle Länder auf einem gleich hohen Niveau sein.
(Hinweis der Redaktion: Das ursprüngliche Interview haben wir bereits 2015 geführt. Es ist aber noch immer aktuell, wie die momentanen Entwicklungen zeigen.)
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