Kerstin Hochmüller ist CEO beim Antriebshersteller Marantec, Mittelstandsaktivistin und quasi die progressive Jeanne d‘Arc für Transformation, New Work und Vereinbarkeit. Sie fordert und fördert in ihrem Unternehmen eine flexible, sprich: personalisierte Teilzeit-Policy. Dafür geht sie gemeinsam mit ihren HR-Kolleginnen ungewöhnliche Wege – ein Blueprint auch für andere Unternehmen. Ihr Standpunkt:
Eine erfahrene Mitarbeiterin, die uns fünf Stunden zur Verfügung steht, ist besser als keine. Bei der Marantec Group machen wir daher in puncto flexible Arbeitszeitmodelle möglich, was geht. Doch leider stehen uns immer wieder die rechtlichen Rahmenbedingungen im Weg. Das Teilzeitmodell muss dringend reformiert werden.
Warum? Weil wir vor allem Müttern heutzutage die Möglichkeit bieten müssen, dass sie beispielsweise mit fünf Stunden nach der Elternzeit starten und dann schrittweise ihre Arbeitszeit hochstufen. Gerade ihnen können wir nicht pauschal einen 20-Stunden-Vertrag in die Hand drücken. Bei Marantec bieten wir daher insbesondere Müttern an, innerhalb eines Monats ihre Arbeitsstunden zu erhöhen, damit sie a) mehr Lohn bekommen und b) mehr in ihre Altersvorsorge einzahlen können. Auch wenn dieses Modell mit (organisatorischem) Aufwand und Flexibilität auf beiden Seiten verbunden ist, hat es de facto bei uns im Unternehmen zu Mehrarbeit statt Kürzungen geführt. Perspektivisch wollen wir die Anpassung innerhalb einer Woche oder sogar eines Tages hinbekommen.
Bestes Beispiel ist unsere HR-Managerin Bianca Paul: Dank der flexiblen Möglichkeiten kann sie Familie und Beruf bestens miteinander vereinen. Sie arbeitet auf Wunsch im Home Office und kann so pro Woche mehr arbeiten, als es ein starres Entweder-oder-Modell erlauben würde.
Damit ist sie in einer Position, die sich hierzulande viele Mütter wünschen. Laut einer Studie des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) würden die meisten gerne arbeiten. Doch viele – zu viele – können ihre Wünsche nicht umsetzen. Gut ein Viertel der befragten Mütter ging zuletzt keinem Beruf nach, obwohl nur etwa zwölf Prozent angegeben hatten, dass sie keine Erwerbstätigkeit wünschen. Besonders drastisch unterschieden sich Wunsch und Wirklichkeit bei Müttern mit Kindern unter drei Jahren: 69 Prozent gehen keiner Arbeit nach, 42 Prozent davon unfreiwillig.
Bei Marantec arbeiten an den vier deutschlandweiten Standorten rund 19 Prozent der Mitarbeitenden weniger als 39 Wochenstunden. Da gibt es Minijobber und Praktikanten, Werkstudenten und verschiedene Teilzeitmodelle. Diese unterscheiden sich bezüglich des Arbeitszeitumfangs, aber auch der wöchentlichen Verteilung der Arbeitszeit. Wir sind da wirklich extrem flexibel und versuchen, alles zu realisieren. Nur 28 Prozent dieser Teilzeitkräfte sind übrigens männlich. Einer von ihnen ist Jörg Wolf. Unser Leiter für das Rechnungswesen arbeitet vier Tage die Woche für uns. In Vollzeit hätten wir ihn nicht gewinnen können.
Eine Lücke klafft noch immer im gewerblichen Bereich: Die weitaus meisten Teilzeitkräfte arbeiten im kaufmännischen Bereich. Hier haben wir unser Soll erreicht. Es gelingt uns, extrem flexibel auf die Bedürfnisse unserer Mitarbeitenden einzugehen. Anders im gewerblichen Bereich. Hier wollen und müssen wir noch mehr Flexibilität zulassen – und dafür gangbare Wege finden. Was stark von den jeweiligen Arbeiten und Prozessen abhängt. Diese müssen vorab angepasst werden, beispielsweise in Einzelplatzfertigungen statt Bandmontagen. Das ist natürlich auch ein Wirtschaftsfaktor.
Ohne Frage hat solch eine Bereitschaft des Arbeitgebers, flexibel auf die Wünsche der Mitarbeitenden einzugehen, viel mit der Steigerung von Zufriedenheit und Motivation zu tun. Es geht aber auch darum, überhaupt Mitarbeitende für das Unternehmen zu gewinnen beziehungsweise zu halten. Ich denke hier nicht nur an Mütter, sondern auch an die GenZ, die gar nicht mehr vorhat, 40 Stunden die Woche zu arbeiten. An ältere Menschen, die „nur“ noch einen Teilzeitjob machen möchten, und auch an diejenigen, die nicht in Deutschland wohnen. Sie alle sind ein schlummernder Schatz, den wir heben müssen.
Laut Statistischem Bundesamt gehörten 2022 hierzulande etwa drei Millionen Menschen zur „stillen Reserve“ des Arbeitsmarkts. Sie könnten einer Erwerbsarbeit nachgehen, tun es aber nicht und melden sich auch nicht arbeitslos – häufig, weil sie Familienangehörige pflegen oder betreuen. Vor dem Hintergrund des wachsenden Fachkräftemangels würde es sich enorm lohnen, diese Menschen zu mobilisieren – beispielsweise durch neue, noch flexiblere Arbeitszeitmodelle.
Dazu muss ein Umdenken einsetzen: Sofern betrieblich möglich, muss einem Antrag auf Teilzeit zugestimmt werden, ohne Wenn und Aber. Gleichzeitig muss die flexible Anpassung der Arbeitszeit leichter werden. Zurzeit ist es noch extrem umständlich, wenn ein Mitarbeitender monatlich die Anzahl der Arbeitsstunden je nach Bedürfnis variieren möchte. Mit dem Gleitzeitkonto, das wir bei Marantec anbieten, ist das zwar machbar, aber mit zu vielen Regeln und Bürokratie verbunden. Lasst und gemeinsam den schlummernden Schatz wertvoller Arbeitskräfte heben. Hier sind wir alle gefragt: nicht nur die Unternehmen, auch die Politik.