Homeoffice – Das neue „Normal“?

Verena Pankoke berät Unternehmen zum "new normal". Was sie ihren Kunden rät, verrät sie in Interview mit LOB.

Nicole Beste-Fopma
Journalistin & Autorin

Die Corona Pandemie hat uns vieles abverlangt, aber sie hat auch ihre guten Seiten. Sie hat die Digitalisierung ist einer vorher ungeahnten Geschwindigkeit vorangetrieben und gezeigt, dass das Arbeiten im Homeoffice oftmals sehr viel besser funktioniert, als von vielen vorher gedacht. Sie hat aber auch gezeigt, dass das Arbeiten im Homeoffice, insbesondere das remote Arbeiten im Team durchaus auch Herausforderungen mit sich bringt. Verena Pankoke ist systemische Organisationsentwicklerin und Expertin für Arbeitskultur. Mit ihrem Unternehmen next office design berät sie regelmäßig Unternehmen zum Thema remote Arbeiten. Wir haben Sie nach den Vor- aber auch Nachteilen des remote Arbeitens gefragt und interessante Einblicke in die Arbeitswelt von morgen erhalten.


Welchen positiven Effekt hat es, den Beschäftigen maximale Freiheit zu geben? 

Viele Menschen genießen die Freiheiten, die das Arbeiten in Homeoffice mit sich bringt. Wer über genügend innere Strukturiertheit verfügt und die Aufgaben auch ohne einen äußeren Rahmen gut erledigen kann, profitiert deutlich von dem  Modell „Remote Work“. Diese Menschen fühlen sich ausgeglichener und produktiver. Sie freuen sich über die stärkere Eigenverantwortung, die sie jetzt endlich übernehmen dürfen. Das ist einer der Gründe, warum viele Arbeitnehmer auf eine Fortführung von Homeoffice pochen und es sich nicht mehr vorstellen können, einem „regulären Präsenzjob“ nachzugehen.


Was sind die Schattenseiten, wenn alle maximale Flexibilität genießen?

Wir haben in den zurückliegenden 1,5 Jahren erlebt, wie sehr uns die alltäglichen Kontakte zu den Kolleg:innen fehlen. Wer hätte geglaubt, dass ihm oder ihr der Flurfunk fehlen würde? Nach Gerald Hüther, einem der bekanntesten Gehirnforscher, wollen Menschen sich zugehörig fühlen. Dieses Gefühl der Zugehörigkeit leidet aber, wenn es diese beiläufige Kommunikation nicht mehr gibt.

Die Flexibilität sollte daher ihre Grenzen haben: Verbindliche Team-Tage und regelmäßige Firmen-Events helfen allen, wieder ein besseres Gespür füreinander zu entwickeln. Für gute Kooperation und Zusammenhalt ist das unerlässlich. über die Frequenz dieser Veranstaltungen kann und sollte man sich unterhalten. Im Zweifel hilft es, unterschiedliche Intervalle einfach auszuprobieren.

Was ist das größte „Learning“ aus der Pandemiezeit im Bezug auf die Flexibilisierung von Arbeitszeit und Arbeitsort?

Im Großen und Ganzen hat die Flexibilisierung wesentlich besser geklappt, als von den meisten Vorgesetzten vermutet. Gleichzeitig hat sich aber auch gezeigt, dass es nicht jedermanns Sache ist. Nicht jeder/jede kann von Zuhause aus arbeiten. Nicht jede/jeder kann sich selbst eine Struktur geben. Es gibt Mitarbeitende, die nach präzisen Arbeitsaufträgen an einem festgelegten Ort und in einem wiederkehrenden Zeitfenster verlangen. Diese Menschen wollen mit der Bürotür auch den Arbeitstag hinter sich abschließen.

Ein großes Learning aus der Pandemie ist es daher, dass das Ideal vom selbstbestimmten Arbeiten nicht zu jedem passt. Homeoffice und Remote Work sollte deshalb immer eine frei wählbare Option bleiben.


Stichwort „Anwesenheitsmythos. Eine der größten Herausforderungen für Vorgesetzte ist es, die Leistung der Mitarbeitenden im Homeoffice zu beurteilen. Wie kann diese Herausforderung gelöst werden?

Arbeit sollte aufgabenbezogen beurteilt werden, nicht nach Anwesenheit. Daher spreche ich auch von der Präsenz-Illusion, die in vielen Chefetagen (leider immer noch) vorherrscht.


Wie genau kann so eine aufgabenbezogene Beurteilung aussehen?

Entscheider:innen, die dieses Thema konsequent zu Ende denken, kommen um einen Kulturwandel nicht herum. Einen Wandel hin zu mehr Vertrauen und zu aktiver Verantwortungsübergabe. Ein gutes Beispiel dafür sind Unternehmen, die agil arbeiten. Dort überlegen Teams gemeinsam, welche Ziele in welcher Zeit erreicht werden können. In relativ kurzen Zeitspannen, in aller Regel zwischen zwei und drei Wochen, überprüfen die Teams selbst, wie gut sie Ihre Ziele tatsächlich erreicht haben.

Aber auch, wie sie es beim nächsten Durchlauf eventuell noch besser schaffen können. Der äußerst positive „Nebeneffekt“: Damit entfällt das oftmals toxische Micro-Management und Führungskräfte können wieder am statt im Unternehmen arbeiten. 


Beim Stichwort Performance/Leistung geht es im Prinzip darum, ob man eine spezifische Leistung schnell, kostengünstig oder hochwertig erbracht haben will. Zwei Attribute kann man sich aussuchen, aber eben nicht alle drei zusammen. Das gilt in der agilen Welt ebenso wie in der des klassischen Projektmanagements.

Es wird immer wieder behauptet: Damit Innovationen entstehen, braucht es den Austausch unter den Mitarbeitenden. Stimmt das und wenn ja, wie kann man sicherstellen, dass die Innovation nicht leidet.

Tatsächlich wird Innovation durch Präsenz begünstigt. Viele entscheidende Innovationen sind durch glückliche Zufälle, eine zufällige Begegnungen oder eine beiläufige Bemerkung unter Kollegen, entstanden. 


Innovation braucht aber auch inneren und äußeren Freiraum. Eine Kultur der allgemeinen Wertschätzung, der psychologische Sicherheit. Habe ich Angst vor Fehlern? Muss ich mich vor den Kolleg:innen und Führungskräften schämen, wenn ich mal was „Dummes“ sage? Wer sich nicht traut, vermeintliche Gewissheiten zu hinterfragen, wird auch keine neuen Lösungen finden. Forschung ist ohne Spieltrieb nicht denkbar, auch das wissen wir aus der Gehirnforschung. Diesen mentale Freiraum zu gewähren ist noch wichtiger als die Frage nach Präsenz. 


Damit Innovation auch virtuell gelingt, müssen erhebliche Anstrengungen unternommen werden: Es scheint Unternehmen zu geben, in denen Innovation in sehr spezifischen und kreativen Workshop-Formate, professionell moderiert, auch virtuell funktionieren. 

Da wir für eine ausgewogene Remote-Strategie plädieren, empfehlen wir unseren Kunden allerdings lieber, kreative und innovationsbezogene Arbeiten in gemeinsamen Räumen zu erledigen. 


Man hört immer wieder das Argument: Beschäftigte, die hauptsächlich im Homeoffice arbeiten, identifizieren sich nicht ausreichend mit dem Unternehmen und kündigen schneller. Was sagen Sie dazu?

Das „Detachment“ (innerliche Ablösung vom Arbeitgeber) zu verhindern, ist eine der ganz großen Führungsaufgaben in virtuellen Teams. Wenn sich der zwischenmenschliche Kontakt ausdünnt, ist diese Gefahr durchaus real. Auch das ist ein Grund, warum wir unseren Kunden hybride Arbeitsmodelle empfehlen. 

Damit es nicht zu einem Detachment kommt, braucht es eine unmissverständliche, regelmäßige und explizit wertschätzende Kommunikation auf allen Ebenen. Zudem sollte auf Distanz häufiger miteinander gesprochen werden und ganz bewusst auch über persönliche Themen. Wir alle sind soziale Wesen und möchten als „ganzer Mensch“ wahrgenommen werden. Wer sich als reine:n „Funktionserfüller:in“ erlebt, ist deutlich eher geneigt, sich einen anderen Arbeitgeber zu suchen als diejenigen Kolleg:innen, die sozial gut eingebunden sind und genügend Anerkennung erfahren.  


Wie sieht es mit der Unternehmenskultur aus? Kann die gelebt werden und sich entwickeln?

Homeoffice und Remote Work funktionieren nur auf der Basis von Vertrauen. Wird dieses Vertrauen gewährt, fühlen sich Beschäftigte viel stärker verpflichtet und wollen dann auch die positiven Erwartungen, die in sie gesetzt werden, erfüllen. Wir sprechen hier von der Bindekraft des Vertrauens. Dieses sollte schrittweise aufgebaut werden, um keine Seite dabei zu überfordern. Gute Kommunikation ist auch hierbei der Schlüssel.

Wir raten Vorgesetzten, immer wieder mal die Frage zu stellen: „Was brauchst Du, um Deine Arbeit gut zu erledigen?“ Erfahrungsgemäß bringt solch eine offene Frage besonders zielführende Antworten hervor.

Dieser Lernprozess ist schwierig und läuft selten ohne ein gewisses Maß an Trial & Error ab. Die Zusammenarbeit auf Distanz wird dadurch zu einem regelrechten „Kultur-Booster“. Das Positive: Unternehmen, die diese Entwicklungsreise antreten, befinden sich auf direktem Weg zu New Work.


Unternehmen, die diesen Weg scheuen, laufen Gefahr, als Arbeitgeber zunehmend unattraktiv zu werden. Die Homeoffice-Option steht nicht nur für junge Talente ganz weit oben auf der Wunschliste.


Wie sieht es mit der Fürsorgepflicht der Vorgesetzten aus? Wie kann diese erfüllt werden, wenn man die Mitarbeitenden kaum oder nur virtuell sieht?

Selbstverständlich müssen Unternehmen sich auch weiterhin darum kümmern, dass Arbeitnehmende durch die Arbeit weder körperliches noch psychisches Leid erfahren. Führungskräfte sind durch hybride Arbeitsmodelle stärker gefordert als bisher. Aber wer sagt denn, dass immer Vorgesetzte sämtliche Aufgaben übernehmen müssen? Wir raten gerne zur verteilten Führung: Dabei werden die einzelnen Aufgaben als Rollen an die Team-Mitglieder vergeben.

Im Bereich der Fürsorge sind die Herausforderungen so vielfältig, dass es Sinn macht, sie auf mehrere Köpfe zu verteilen. Denn, von Ergonomie im Homeoffice über Bewegungsangebote bis hin zur Burn-Out-Prophylaxe gibt es viel mehr zu bedenken und zu organisieren, als ein:e Einzelne:r bewältigen kann. 

Auch in diesem Bereich ist der offene und vertrauensvolle Austausch unter Kolleg:innen und über die Hierarchiegrenzen hinweg ein wesentlicher Schlüssel. 


Auch das ist ein Learning aus den vergangenen 18 Monaten: Wir sitzen alle im gleichen Boot. So wie wir die Pandemie nur gemeinsam besiegen können, so gelingt auch die virtuelle Zusammenarbeit nur dann, wenn wir alle am gleichen Strang ziehen!

Bildnachweis: Pexels – Vlada Karpovich

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